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Ausgabe 02/2024 “Macht und Eigentum” ist erschienen

Jede*r kennt den Begriff des Eigentums. Eine präzise und allgemeingültige Definition sucht man hingegen vergeblich: Eine machtgeladene Beziehung zwischen Personen, eine Ökonomie und Gesellschaft ordnende Institution oder ein Rechtsverhältnis – Eigentum kann soziologisch aus diversen Perspektiven betrachtet werden. Dabei gehen die Anfänge der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin selbst nicht zuletzt auf die Auseinandersetzung mit bestehenden Eigentumsverhältnissen zurück, die bekanntermaßen den Ausgangspunkt der marxschen Kapitalismusanalyse bildeten. Zentral für Marx und auch für neuere Analysen – prominent diskutiert etwa in Thomas Pikettys ‚Das Kapital im 21. Jahrhundert‘ oder Katharina Pistors Werk ‚Der Code des Kapitals‘ – ist dabei gerade die Formung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Ausübung von Macht durch Eigentumsverhältnisse. Stärker aus einer Perspektive der Kommodifizierung beschrieb vor diesem Hintergrund auch Karl Polanyi Mitte des 20. Jahrhunderts den historischen Wandel der Eigentumsverhältnisse in ‚The Great Transformation‘, welcher in der entbetteten Marktwirtschaft des Kapitalismus kulminiert.

Wie der Kapitalismus über die letzten Jahrhunderte seine Form veränderte, so transformierten sich die Eigentumsverhältnisse. Dabei entzündeten sich früher wie heute politische Debatten an Fragen des Eigentums: Sei es etwa an den Schnittstellen Wohnen und Stadt (z.B. Deutsche Wohnen & Co enteignen!, Recht auf Stadt, Urban Commons), geistigem Eigentum (z.B. Chat GPT, Open Access, Open Source), Landnutzungskonflikten (z.B. Hambacher Forst) oder der Externalisierung der Folgen der Klimakrise (z.B. CO2-Bepreisung als ‚Ablasshandel‘). In der Diskussion um eigenständige Rechte von Natur und Tieren werden darüber hinaus Fragen nach der Definition des Dinglichen und der Relation zum Eigentum neu aufgeworfen.

Als Einstieg in diesen Themenkomplex erwartet euch ein spannendes Interview mit Christina Engelmann zum Thema ‚Materialistischer Feminismus‘. Interviewt von Marc Blüml, spricht sie über die Relevanz von Eigentumsverhältnissen zum Verständnis der patriarchalen Geschlechterordnung. Der Tradition des Materialistischen Feminismus folgend, betont sie die Notwendigkeit, Geschlechterverhältnisse in ihrer Interdependenz zum gesellschaftlichen Ganzen zu sehen. Insbesondere kapitalistische Herrschaftslogiken gelte es zu berücksichtigen, wenn historisch unterschiedliche Formen von Heteronormativität, vergeschlechtlichter Arbeitsteilung und Überausbeutung verstanden werden sollen. Wenn jedoch die Kapitalismuskritik keine geschlechtertheoretische Analyse bemühe, bleibe eine Analyse der Macht- und Eigentumsverhältnisse notwendigerweise unzureichend, wie Engelmann anhand der historischen Debatten aufzeigt. Gleichzeitig erläutert sie, wie aus der proletarischen Frauenbewegung Lehren für emanzipatorische Kämpfe in der Gegenwart gezogen werden können.

In den Hauptbeiträgen des Hefts liegt der Schwerpunkt nicht auf Eigentumsfragen selbst, sondern auf der Rekonstruktion eigentumsbedingter Machtverhältnisse. So fokussiert sich Robin Sachsenröder in seinem Beitrag ‚Baudrillard als Denker seelischer Erschöpfung? Die Konsumgesellschaft nach Baudrillard und psychische Leiden‘ auf die Konsumsphäre, die er als eine Subjektivierungsinstanz des erschöpften Selbst analysiert. Anstatt den Fokus auf die Transformation der Arbeit zu legen, bietet der Beitrag auf diese Weise eine innovative Sicht auf die Genese psychischen Leids mithilfe der Theorie Jean Baudrillards. Es wird herausgearbeitet, wie Konsum als Teil ideologischer Zurichtung in Bezug auf die Wertvorstellungen einer autonomen Selbstentfaltung und eines glücklichen Lebens, aber auch in Bezug auf Konkurrenzverhältnisse sowie therapeutisierende Umgänge mit psychischem Leid wirkt.

Auch der Perspektivbeitrag von Corina Theresa Schwarz ‚Der Praxis- und Handlungsbegriff im Vergleich. Eine Gegenüberstellung der Sozialtheorien von Pierre Bourdieu und Bruno Latour‘ wirft aus zwei verschiedenen Perspektiven einen Blick auf Machtverhältnisse. Der Theorievergleich behandelt auf der einen Seite Pierre Bourdieus Habituskonzeption mit analytischem Schwerpunkt auf sozialer Ungleichheit und auf der anderen Seite Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie mit ihrem Fokus auf der Interdependenz von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren anhand der ökologischen Krise. So werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden theoretischen Ansätze herausgearbeitet und auch auf die gesellschaftspolitischen Anliegen der Autoren zurückbezogen.

Als nächstes folgt Judith Nasdals Tagungsbericht ‚„Ostdeutsch“ und „Westdeutsch“ als Zuschreibungen: Die Macht von Zuschreibungen und die Fähigkeit diese zu verändern‘. Darin resümiert sie die Dekonstruktionen von Bildern Ostdeutschlands im Rahmen der am 10. und 11. Oktober 2024 in Frankfurt am Main abgehaltenen Konferenz ‚Der Osten als Erfolgsmodell? Neue Perspektiven auf sozialen Wandel in Ostdeutschland‘. Der Beitrag möchte anhand der Tagungserkenntnisse einen Perspektivwechsel gegenüber bestehenden Zuschreibungen und Negativcharakterisierungen ermöglichen und Möglichkeitsräume der Selbstermächtigung nachzeichnen.

Zudem finden sich im Heft zwei Rezensionen von Konstantin Schiewer. Zunächst rekonstruiert er in der Rezension des von Peter-Erwin Jansen und Kolleg*innen herausgegebenen Sammelbands ‚Selected texts of Herbert Marcuse and Leo Löwenthal: Critical Theory in Motion’ die Erkenntnisse der aus dem Nachlass zusammengestellten Texte der beiden titelgebenden Autoren. In den veröffentlichten gesellschaftskritischen Artikeln, die sich unter anderem den Themen Faschismus, Antisemitismus, Technologie sowie der Geschichte der Kritischen Theorie widmen, werden neue Einblicke in das Werk der beiden Autoren gegeben, die mit dem Blick auf emanzipatorische Potenziale verbunden bleiben.

Abschließend widmet sich Konstantin Schiewer in seiner zweiten Rezension anhand Philipp Felschs Werk ‚Der Philosoph: Habermas und wir‘ einem anderen Protagonisten der Frankfurter Schule. Die Biografie fokussiert sich insbesondere auf die Rolle, die Jürgen Habermas in der bundesdeutschen Öffentlichkeit mit seinen verschiedenen Interventionen spielte – wie vor allem anhand des Historikerstreits skizziert wird. Konstantin Schiewer arbeitet heraus, dass zwar Habermas’ theoretisches Vermächtnis nur randständig verhandelt wird, aber er betont gleichzeitig die Produktivität der Lektüre, die Lust auf eine weitergehende Auseinandersetzung mit den Texten des Philosophen bereitet.

Wir möchten allen Beitragenden herzlich für ihre Einsendungen und die konstruktive Zusammenarbeit danken, sowie allen Involvierten, die dieses Heft durch ihre Beiträge, ehrenamtliche Redaktionsarbeit, Anregungen und kritische Kommentare möglich gemacht haben. Unseren Leser*innen wünschen wir viel Freude bei der Lektüre. Vielen Dank für Euer Interesse!

Stellvertretend für die Redaktion des Soziologiemagazins, Juli 2025

Marc Blüml, Sara Hueber & Annabell Lamberth


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Die Redaktion (20. Oktober 2025). Ausgabe 02/2024 “Macht und Eigentum” ist erschienen. soziologieblog. Abgerufen am 12. November 2025 von https://doi.org/10.58079/14zcp


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